Freimut Duve gestorben

Am 3.3.2020 ist Freimut Duve in Hamburg gestorben. Er wurde 83 Jahre alt. Der SPD-Politiker und Herausgeber der Rowohlt-Reihe rororo aktuell war ein engagierter Kämpfer für Menschenrechte. Zusammen mit den Autoren Hans-Georg Stümke und Rudi Finkler erschien bei rororo aktuell das Buch „Rosa Winkel, Rosa Listen“. Am 11. Mai 1985 war Freimut Duve anwesend bei der Steinlegung für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. – Hier ein Auszug aus seiner Rede:

Freimut Duve (MdB/SPD):

Meine Damen und Herren, es hat keinen Sinn, die verschiedenen Gruppen von Opfern des Faschismus und des KZ zu vergleichen in ihrem Leiden, aber dass die Homosexuellen als eine Gruppe, die keine Gruppe war, sondern von Hitler zu einer Gruppe gemacht worden ist, ähnlich wie die Juden, die zum Christentum übergetreten waren, dass die in vielfacher Hinsicht besonders haben leiden müssen, ist aus dem, was ich hier vorgelesen habe, sicher klar.

Ich selbst muss für mich sagen, dass, als wir vor einigen Jahren mit Hans-Georg Stümke und Rudi Finkler dieses Buch gemacht haben, ich selber bei der Lektüre des Manuskripts auch erschüttert war, erschüttert war nicht so sehr über das, was ich gelesen habe, denn das hatte ich über andere Gruppen auch gelesen, ich war eigentlich noch mehr erschüttert darüber, dass ich dies bis 1980 nicht gewusst hatte, und ich mich bis 1980 auch nicht darum gekümmert hatte. Und wenn diese Steinlegung dazu dient, dieser Vorgänge, dieser Brutalitäten zu erinnern, dann sollte dies für heute und unserem Umgang mit dem, was man das „gesunde Volksempfinden“ nennt, ein Mahnmal sein.

Ich will eine persönliche Bemerkung machen als Bundestagsabgeordneter, der mit einer Volkspartei von über 50 % der Wähler gewählt worden ist. Nichts ist leichter in der Demokratie und nichts ist möglicher in der Demokratie, als in einem System, das von Wahlen abhängig ist, mit dem gesunden Volksempfinden zu arbeiten. Es ist die teuflische Verlockung und die tödliche Bestrafung, die in dem Element des gesunden Volksempfinden liegt.

Ich weiß, dass dieser Verlockung immer wieder Politiker erliegen und diese Verlockung auch noch demokratisch, weil ja die Mehrheit ihrem Ansinnen und ihrem Reden zugesprochen hat, demokratisch begründen.

Ich halte es für meine oberste Aufgabe, ich halte es für die oberste Aufgabe aller Politiker in der parlamentarischen Demokratie, den Mehrheitsschutz zu organisieren für Minderheiten. Das ist die Grundidee der parlamentarischen Demokratie, Mehrheiten formen zu können, kulturelle Mehrheiten – und Minderheiten auch vor der Mehrheit zu schützen. Und wenn da einen Politiker der Mut verläßt, weil er vor seinen eigenen Mehrheiten Angst bekommt, dann sollte der es nach meiner Meinung bleiben lassen.


Rede gehalten am 11. Mai 1985 in Neuengamme anläßlich der Gedenksteinlegung für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus.

Buch: „Rosa Winkel, Rosa Listen“ – Homosexuelle und ‚gesundes Volksempfinden‘ von Auschwitz bis heute. Autoren: Hans-Georg Stümke/Rudi Finkler ersch. 1981 in der Reihe rororo Nr. 4827

Foto oben: Freimut Duve (vorn) hält eine Rede bei der Steinlegung für die Homosexuellen Opfer. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 11.05.1985. – Foto MHC-Archiv.
Foto unten: Veröffentlichung in der taz vom 15.05.1985