An der Binnenalster wird der Denk-Ort sexuelle und geschlechtliche Vielfalt entstehen. Die Queer Community freut sich, dass der Entwurf „Pavillon der Stimmen“ (Grafik) vom Studio Other Spaces (gegründet von Sebastian Behmann und Ólafur ElÃasson) umgesetzt wird, weil diese Gestaltung eine klare Aussage hat und gut geeignet ist für die Aktionen, die dort stattfinden sollen. – Allerdings hat beim Preisgericht ein anderer Entwurf (Für Capri und Roxi) gewonnen. Ist nun 1. Preis und Realisierung unauflöslich miteinander verbunden? Darum ging es u.a. bei der Diskussion im Museum für Kunst und Gewerbe am 24.9.2024.
Bilder von der Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe im September 2024
Fotos von Klaus-Dieter Begemann




















Bilder von der Diskussion am 24.9.2024 im M K&G (Fotos Martin Eichenlaub und Klaus-Dieter Begemann)











Denk-Ort-Auslobungstext_DEU_FINAL
Autorin/Autor des Beitrags
Martin EichenlaubModerationen/Beitragstext
Denk-Ort sexuelle und geschlechtliche Vielfalt Diskussionsveranstaltung am 24.09.2024Geht man über die Lombardsbrücke zwischen Binnen- und Außenlaster und biegt auf den Neuen Jungfernstieg ab, wo sich das Hotel Vierjahreszeiten befindet, kommt man an einer freien Fläche vorbei, die etwas in die Alster hineinragt. Hier stehen eine Skulptur (die sogenannte Windsbraut), ein paar Bäume, Fahnenmasten und ein paar Parkbänke. Es ist ein Ort mit einer großartigen Aussicht über die Binnenalster, auf den Jungfernstieg, das Alsterhaus und das Rathaus. Dabei ist dieser Ort selbst eigentlich recht unspektakulär. Das soll sich ändern. Die Stadt Hamburg wird den Ort neugestalten – und will ihn dadurch beleben. So soll neben einem Pavillon mit Gastronomie ein Ort entstehen, der konfrontieren soll mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt. Die Idee hierzu kam aus einer zivilgesellschaftlichen Initiative. Das Ziel: Es soll ein Denk-Ort werden, der an die Verfolgung von Menschen aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität in der Vergangenheit erinnert, das Streben nach Gleichberechtigung und Akzeptanz in der Gegenwart würdigt, aber auch Respekt gegenüber der Vielfalt als Zukunftsziel anmahnt. Es soll also ein Ort der Begegnung und des Austausches werden, ein Ort zum Nachdenken und zum Erinnern, aber auch ein Ort, der für Veranstaltungen und Kundgebungen der Queer Community genutzt werden kann. Die Behörde für Kultur und Medien hat die Entwicklung dieses Projektes übernommen, gemeinsam mit Menschen, um die es dabei geht, nämlich mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen, transgeschlechtlichen, Inter- und queeren Personen. Zur Gestaltung des Ortes gab es eine künstlerische Ausschreibung, und 14 künstlerische Entwürfe wurden eingereicht. Ein Preisgericht hat diese beurteilt und Preise vergeben.
Der erste Preis ging an den Entwurf mit dem Titel „Für Capri und Roxi“, das eine bläulich-violette Skulptur in Form einer Spirale ist. Der zweite Preis ging an den „Pavillon der Stimmen“, ein gläserner Farbkreis mit den Pride-Farben, an dessen Stehlen sich Audio-Installationen der Queer Community befinden sollen, das ganze gerahmt durch eine schwarze Ufereinfassung. Beide Entwürfe wurden der Queer Community vorgestellt, und diese hat sich einstimmig für die Realisierung des zweiten Preises ausgesprochen. Das hat zu Verstimmungen in der Kunstszene geführt. Zwischenzeitlich wurden alle 14 künstlerischen Entwürfe im Museum für Kunst und Gewerbe der Öffentlichkeit vorstellt. Und am 24. September gab es eine Diskussionsveranstaltung, welche von der Behörde für Kultur und Medien ausgerichtet wurde. Diese fand ebenfalls im Museum für Kunst und Gewerbe statt, und wer nicht dabei sein konnte, konnte per Live-Stream zuschauen.
Martin, Du warst bei dieser Diskussionsveranstaltung dabei. Warum gab es eigentlich eine Diskussionsveranstaltung?
Bei einem künstlerischen Wettbewerb ist es üblich, dass eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zu den eingereichten Entwürfen stattfindet. Und zwar, nachdem diese durch eine Jury beurteilt, das Jury-Protokoll veröffentlich und alle Entwürfe bei einer Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Bei dieser öffentlichen Diskussionsveranstaltung, die am 24.09. stattfand, sollte es also eigentlich um einen Austausch über alle künstlerischen Entwürfe gehen. Einzelne Redebeiträge bezogen sich jedoch nur auf die beiden preisgekrönten Entwürfe. Im Wesentlichen gab es jedoch eine Diskussion zum Verfahren.
Es gab ja Verstimmungen in der Kunstszene, vor allem, weil der zweite Preis, also der gläserne Farbkreis der Künstlergruppe Other Spaces realisiert werden soll.
Dass der zweite Preis anstelle des ersten realisiert wird, kommt bei städtischen Wettbewerben ab und zu mal vor. In diesem konkreten Verfahren ist es sogar so, dass in der Ausschreibung des künstlerischen Wettbewerbs explizit darauf hingewiesen wurde, dass die Entscheidung zur Realisierung von dem ersten Preis abweichen kann. Ich vermute, dass das vielen nicht bekannt ist und daher die Annahme besteht, die Stadt Hamburg sei verpflichtet, den ersten Preis zu realisieren. Das ist aber ausdrücklich nicht so. Die Richtlinien, an denen sich das aufwändige Auswahlverfahren orientiert, wurden also nicht verletzt.
Doch wie kam es zu der Entscheidung, dass am Denkort nun der gläserne Farbkreis „Pavillon der Stimmen“ der Künstlergruppe Other Spaces verwirklicht wird?
Hierzu muss man verstehen, dass es neben dem künstlerischen Verfahren einen zivilgesellschaftlichen Prozess gibt. Das müsste eigentlich jeder Person bekannt sein, die sich mit dem künstlerischen Ausschreibungstext zum Denkort beschäftigt hat. Dieser zivilgesellschaftliche Prozess für einen Denkort wird seit dem Jahr 2020 von der Behörde für Kultur und Medien und der Queer Community aktiv gestaltet. Hierzu gab es auch Verschriftlichungen, und es war der Öffentlichkeit bekannt. In diesem zivilgesellschaftlichen Prozess geht es vor allem darum, mit welchem Entwurf die Queer Community die Aufgabenstellung am ehesten verwirklicht sieht. Denn die Queer Community selbst hat an dem Ausschreibungstext mitgewirkt und klar formuliert, welche inhaltlichen Rahmenbedingungen für einen solchen Denkort gelten. Und natürlich geht es auch darum, mit welchem Entwurf sich die Community, um deren Themen es ja geht, identifizieren kann. Nach meiner Beobachtung ist es so, dass ein wesentliches Argument gegen den Entwurf „Für Capri und Roxi“ darin besteht, dass dieser sich auf ein schwules Thema in der Vergangenheit bezieht, und daher die gesamte Queer Community nicht angesprochen wird.
Dass alle LSBTIQ+ mitgemeint seien, widerspricht der Wahrnehmung in der Community. Diese erlebt in dem Bezug zur eigentlich schwulen Thematik eine Missachtung insbesondere kleinerer Gruppen der Queer Community. Dabei war es in dem gesamten, partizipativen Prozess zur Entwicklung dieses Denkortes immer allen wichtig, dass keine Personen der LSBTIQ+-Community ausgeschlossen werden oder sich ausgegrenzt fühlen. Andernfalls würde der Denkort von Gruppen der Community nicht angenommen werden und dadurch seine Bedeutung als ein Ort für Veranstaltungen und einen Austausch verlieren. Es ist also richtig und geboten, dass die Stadt Hamburg die Queer Community in die Realisierungsentscheidung einbindet.
Ja, aber ein Vorwurf war ja, dass das Votum durch die Queer Community in der Ausschreibung zum Wettbewerb nicht angekündigt war.
Das stimmt. Es ist aber so zu sehen, dass es neben dem künstlerischen Verfahren einen davon unabhängigen, zivilgesellschaftlichen Prozess gibt, der ja auch nicht Teil des Wettbewerbs ist. Das künstlerische Verfahren wurde von dem zivilgesellschaftlichen Prozess unabhängig geführt. Das Preisgerichtsverfahren, welche sich auf das künstlerische Verfahren bezieht, wurde also auch nicht ausgehebelt, wie es behauptet wurde. Preisgerichtssitzung, Protokollveröffentlichung, Ausstellung der Entwürfe und öffentliche Diskussionsveranstaltung erfolgte den Regularien entsprechend. Die Entscheidung der Jury für den ersten und zweiten Preis werden auch nicht in Frage gestellt und bleiben ja bestehen.
Nun waren die Künstlerinnen des ersten Preises über 14 Tage in dem Glauben gelassen worden, dass ihr Entwurf realisiert werden soll. Ist da die Enttäuschung nicht nachvollziehbar?
Selbstverständlich kann ich die Enttäuschung der Künstlerinnen des ersten Preises nachvollziehen, deren Entwurf am Denkort beim Neuen Jungfernstieg nicht realisiert wird. Vielleicht war es auch deshalb gut, dass die Realisierungsentscheidung nicht noch später getroffen wurde. Einen Trost gibt es: Der Entwurf „Für Capri und Roxi“ wird, wenn auch in kleinere Ausführung, nun doch realisiert, in Nähe des historischen Ortes, auf den sich der Entwurf bezieht. Das hat Staatsrätin Jana Schiedeck bei der Diskussionsveranstaltung mitgeteilt.
Nun gab es auch Vorwürfe, die Stadt Hamburg habe sich für den Entwurf „Stimmen der Vielfalt“ entschieden, da er von der international bekannten und renommierten Künstlergruppe Other Spaces stammt, sich die Stadt Hamburg also mit namhaften Künstlern schmücken möchte.
Das ist natürlich eine Unterstellung, die nicht zutrifft. Es ist auch irrwitzig zu glauben, dass ca. 70 Gruppen, Vereine und Institutionen der Hamburger Queer Community seit 2020 in einem aufwändigen, partizipativen Prozess das Ziel verfolgen würden, die Stadt Hamburg mit einem namhaften Künstler zu schmücken. Wer das unterstellt, hat nicht verstanden, um was es bei dem Denkort für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt geht und was das Anliegen der vielen Beteiligten ist, die sich mit hohem Engagement für dieses Projekt einsetzen. Die Stadt Hamburg hat sich in der Entscheidung für den Farbkreis „Pavillon der Stimmen“ an dem Votum der Queer Community orientiert. Und der Community geht es – wie bereits erwähnt – darum, dass das Kunstwerk die Aufgabenstellung des Ausschreibungstextes am weitestgehenden erfüllt, und sie sich mit dem Kunstwerk identifizieren kann. Das ist mit dem Entwurf „Pavillon der Stimmen“ der Fall.
Übrigens: Wie im Protokoll der Jury nachzulesen ist: Selbst das Preisgericht, hat den Entwurf „Pavillon der Stimmen“ einstimmig zum zweiten Preis wählt, und das, obwohl dem Preisgericht die Namen der Künstler:innen nicht bekannt war.
Dieser Entwurf hat also mit seinen Qualitäten überzeugt. In dem Preisgericht übrigens waren auch Personen der Kunstkommission.
Martin, du hast eben gesagt, dass es der Queer Community darum geht, welcher künstlerische Entwurf die Aufgabenstellung des Ausschreibungstextes am weitestgehenden erfüllt, und das sei beim „Pavillon der Stimmen“ der Fall. Heißt das, dass der Entwurf „Für Capri und Roxi“ dem Ausschreibungstext nicht in gleicher Weise entspricht? Und wenn ja, war das nicht im Preisgericht erwähnt worden?
Das Preisgerichtsprotokoll ist bereits veröffentlich. Hier ist zum Entwurf „Für Capri und Roxi“ zu lesen – Zitat: „Kritisiert werden von Teilen des Preisgerichts sowohl die Farbigkeit als auch der Titel des Kunstwerks, da diese keine ausreichende Identifikation für die Vielfalt der LSBTIQ*-Communitys bieten und damit nicht dem Auslobungstext entsprechen.“ Weiter heißt es im Preisgerichtsprotokoll – Zitat: „Einzelne Preisrichter:innen beurteilen das Kunstwerk in Bezug auf die gestellte Aufgabe eher als beliebig, sehen die Nutzung des Orts als Versammlungs- und Veranstaltungsfläche eingeschränkt und die Wettbewerbsaufgabe damit nicht umfänglich erfüllt“. Dass der Entwurf „Für Capri und Roxi“ nicht dem Auslobungstext umfänglich entspricht, war also in der Jury durchaus thematisiert worden.
Aber wie kommt es dann, dass er trotzdem den ersten Preis erhalten hat?
Das Preisgericht bestand aus insgesamt 10 Preisrichter:innen: 3 von der Kunstkommission, 3 von Behörden und 3 aus der Queer Community, sowie einer Person vom Bezirk Hamburg-Mitte. Wie im Preisgerichtsprotokoll nachzulesen ist, wurden bei der Jury-Entscheidung zu den einzelnen Entwürfen eine Vielzahl von Aspekten berücksichtigt. Diese betreffen künstlerische, ästhetische, bauliche und statische, funktionale, sicherheitsrelevante und ganz viele weitere Aspekte.
In dieser Gemengelage von Pro und Contra Argumenten und deren Abwägung hat die Jury ihre Entscheidung getroffen. Für den ersten Preis „Für Capri und Roxi“ haben 6 von 10 Preisrichter:innen gestimmt, für den zweiten Preis „Pavillon der Stimmen“ haben alle 10 Preisrichter:innen gestimmt.
Also haben eigentlich mehr Preisrichter:innen für den zweiten Preis als für den ersten Preis gestimmt?
Ja.
Was denkst du, ist das Hauptproblem bei dem künstlerischen Wettbewerb gewesen?
Nach meiner Einschätzung hat es bei der Diskussionsveranstaltung ein Kunstschaffender auf den Punkt gebracht, der sinngemäß meinte: Das Verfahren war als künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben, weshalb sich Künstler:innen darauf eingelassen hatten. Wäre ein Gestaltungswettbewerb im Sinne einer Auftragsarbeit vorgesehen gewesen, der sich nicht primär an künstlerischen Maßgaben orientiert, hätte es ein anderes Verfahren sein müssen. Dann allerdings hätten sich vermutlich kaum Künstler:innen an dem Verfahren beteiligt. Unter Kenntnis der Entwicklungen glaube ich, dass hier tatsächlich statt eines künstlerischen Wettbewerbs sozusagen ein Desingwettbewerb zur Gestaltung des Ortes als Auftragsarbeit besser gewesen wäre. Ein Designwettbewerb, der sich an den Vorgaben des Ausschreibungstextes orientiert. Bei einer Auftragsarbeit wären auch Änderungen im Entwurf umsetzbar und verhandelbar.
Was würdest Du aus deiner Beobachtung anderen zivilgesellschaftlichen Projekten empfehlen?
Bei ähnlichen Projekten sollten sich die Beteiligten überlegen, ob sie für die Gestaltung ihres Projektes einen künstlerischen Wettbewerb oder vielleicht besser ein anderes Verfahren wählen.