Im Verfassungsschutzbericht zum vergangenen Jahr 2024 gibt es einen eigenen Abschnit zu Queerfeindlichkeit. Hier der Text:
Queerfeindliche rechtsextremistische Aktivitäten
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bildet einen grundlegenden Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie und Agitation. Auf Basis ihrer Weltanschauung lehnen Rechtsextremisten Diversität im Hinblick auf sexuelle Orientierung sowie entsprechende Partnerschafts- und Familienmodelle größtenteils ab. Sie sehen Heterosexualität und die Vorstellung einer damit verbundenen „traditionellen Kernfamilie“ als alternativlos und biologisch „natürlich“ an. Für sich genommen ist dies zunächst keine genuin rechtsextremistische Position, jedoch versuchen Rechtsextremisten das Thema ideologisch zu besetzen. Sie knüpfen die Ablehnung moderner Geschlechterverständnisse und Familienmodelle an ihr von Rassismus und Nationalismus geprägtes Weltbild. Dies äußert sich zum Beispiel in der Familienpolitik rechtsextremistischer Parteien, wonach sich ein drohender „Volkstod“ nur durch eine ausschließlich auf ethnisch deutsche Familien und die Ehe zwischen Mann und Frau ausgerichtete Familienpolitik aufhalten ließe. Durch Rekurs auf verschwörungstheoretische Narrative macht die rechtsextremistische Szene eine vermeintliche LSBTIQ-Propaganda verächtlich, die angeblich insbesondere durch die Politik sowie öffentlich-rechtliche Medien Verbreitung finde.
Die rechtsextremistische Szene agitierte im Berichtsjahr mit der erneuten Initiierung eines „Stolzmonats“ als „patriotische Gegenbewegung“ gegen den alljährlich im Juni begangenen Pride Month und versuchte hierfür auch die in Deutschland ausgetragene Fußball-Europameisterschaft zu nutzen. Dabei konnte sie jedoch nur wenig von der medialen Aufmerksamkeit rund um das Großereignis profitieren und blieb mit ihren Aktivitäten hinter den im Vorfeld formulierten Erwartungen an die eigene Wirkmächtigkeit zurück.
Nach Ende des Pride Month rückten LSBTIQ-Veranstaltungen verstärkt in den Fokus insbesondere gewaltorientierter rechtsextremistischer Akteure. So kam es seit Mitte 2024 bundesweit wiederholt zu (versuchten) rechtsextremistischen Störaktionen von öffentlichen Veranstaltungen zum CSD beziehungsweise zu einer Mobilisierung für solche Aktionen. Besonders hervorzuheben sind hierbei rechtsextremistische Störaktionen gegen die CSD-Kundgebungen in Bautzen (Sachsen), Leipzig (Sachsen), Magdeburg (Sachsen-Anhalt) sowie Zwickau (Sachsen) im August 2024. Die Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen die CSD-Veranstaltungen lagen bei diesen vier Versammlungen jeweils im dreistelligen Bereich. Es handelte sich dabei überwiegend um Personen der gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene. Diese CSD-Störaktionen wurden zwar auch von klassischen rechtsextremistischen Organisationen wie etwa der Partei „Der III. Weg“ sowie deren Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“, der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD) und durch die „Freien Sachsen“ beworben, organisiert und durchgeführt, als Organisatoren und Veranstalter traten jedoch vermehrt gewaltorientierte rechtsextremistische Online-Gruppierungen wie etwa „Jung & Stark“ (JS) oder „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) in Erscheinung. Diese lassen eine ausgeprägte Bereitschaft erkennen, ihrer LSBTIQ-feindlichen Einstellung mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen Ausdruck zu verleihen.
Die Gruppierung JS wurde erstmals im Sommer 2024 über ihren Instagram-Account bekannt. Dieser von bestehenden regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Szenen losgelöste, innerhalb kurzer Zeit entstandene rechtsextremistische Personenzusammenschluss markiert für viele junge, zum Teil minderjährige Personen den Einstieg in den Rechtsextremismus. Aufgrund der von den Mitgliedern geäußerten Gewaltbefürwortung bis hin zur Gewaltbereitschaft ist der Gruppierung eine grundlegende Gewaltorientierung zu attestieren. Für die rechtsextremistische Agitation bedienen sich ihre Mitglieder ideologischer Fragmente, die primär in der Auswahl der Feindbilder Ausdruck finden. Dazu zählen unter anderem die „Antifa“ oder die LSBTIQ-Bewegung, welche als Projektionsfläche für rechtsextremistisch motivierten Aktionismus dienen. Bei DJV handelt es sich ebenfalls um einen rechtsextremistischen, bundesweit ähnlich agierenden Personenzusammenschluss, welcher ebenfalls im Sommer 2024 durch rechtsextremistische Aktivitäten in Erscheinung getreten ist. Mitglieder von JS und DJV nahmen bereits mehrfach gemeinsam an rechtsextremistischen Störaktionen gegen CSD-Veranstaltungen teil.
Verbindendes Merkmal beider Gruppierungen ist die in den sozialen Medien stattfindende, wirkungsstarke Anwerbung überwiegend junger, teils minderjähriger Akteure innerhalb wie auch außerhalb der rechtsextremistischen Szene, deren online stattfindende Vernetzung und Radikalisierung sowie schließlich die Organisation realweltlicher Aktionen. Hierzu zählen neben den zuvor benannten Störaktionen gegen CSD-Veranstaltungen auch die Teilnahme an einer Demonstration „gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ im Dezember 2024 in Berlin sowie Konfrontationen mit Angehörigen der linksextremistischen Szene, wobei es bereits zu diversen Gewaltdelikten kam. JS und DJV bewegen sich mit mehreren Onlinepräsenzen auf verschiedenen Plattformen wie Instagram oder TikTok. Die so erzielte breite Aufstellung begünstigt den schnellen Aufbau einer gewissen virtuellen Reichweite und bietet darüber Anknüpfungspunkte für die Vernetzung mit anderen rechtsextremistischen Akteuren. Sowohl das Alter als auch die Aktionsorientierung der Mitglieder derartiger Gruppierungen stellen dabei eine Gefährdung im Hinblick auf die rechtsextremistische Beeinflussung und Radikalisierung des in den Gruppen organisierten Personenpotenzials dar.
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